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Das 17-Minuten-Interview

© Kristoff Schwetje

»Zeit zum Spielen – dann ist wieder mehr Spielraum für das, was wir denken.«
 

Alter: 33 Jahre

Wohnort: Ober-Hilbersheim (Rheinland-Pfalz)

Beruf: Sozialunternehmerin und systainchange-Mitgründerin

Was spielst du am liebsten?

Das werde ich so oft gefragt und es ändert sich ständig. Ich komme nicht aus einer typischen „Wir spielen am Küchentisch“- Familie. Das war ein Nachteil. Denn dadurch muss man sich das Spielen viel mehr „selbst“ aneignen. Aber ich liebe das Live-Rollenspiel. Das findet z. B. in einer Burg, im Wald oder an einem Ort statt, wo man so richtig eintauchen kann. Ich mag es einfach, dass Menschen so wandelbar sein können. Und im Live-Rollenspiel hast du einfach noch eine Komponente mehr. Du musst strategisch überlegen. Oder man lacht, weil es eine witzige Spielsituation ist. Mit den Klamotten, die man trägt und dem Setting, welches einen umgibt, kann man so richtig eintauchen. Ich bin wie viele ein absoluter Fantasy-Freak. Ich liebe das Buch „Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien und habe alles aufgesaugt, was es in diesem Bereich gab. Ich fand Live-Rollenspiel immer am beeindruckendsten. Natürlich spiele auch gerne klassische Brettspiele am Tisch. Allerdings bin nicht so jemand, der leicht in einen Flow kommt. Das geht leichter, wenn du komplett deine Umgebung darauf anpasst. Auch wenn ich manchmal lustig oder albern bin: Ich bin jemand, der sich mit sehr ernsten Themen auseinandersetzt. Die Gefahr beim Spielen, also bei reinen Gesellschaftsspielen ist, dass du auch immer eine Scheinwirklichkeit aufbaust. Ich habe immer Angst, dass sich die Menschen im Spiel so verlieren, das Sie in die „reale“ Welt, wo es „reale“ Probleme gibt, die wir behandeln müssten, gar nicht mehr wahrnehmen. Bei mir findet so viel auf der Metaebene statt, dass es mit dem Flow so eine Sache ist. 

© Kristoff Schwetje
Und was war als Kind dein Lieblingsspiel?

Da muss ich klassisch antworten. Das war Monopoly. Ich hatte als Kind keinen großen Zugang zu Spielen. Als Kind liebte ich das Spiel „Fang die Maus“ mit dem absoluten Adrenalin-Kick. Bei diesem Geschicklichkeitsspiel gilt es, Ruhe zu bewahren und im richtigen Moment schnell seine Maus vor der rasch zuschnappenden Katze in Sicherheit zu bringen. Ansonsten Monopoly. Es dauert ewig. Und wenn du Papa endlich überredet hast, mitzuspielen, hattest du einige Zeit die Familienzeit war. Mein Papa war eigentlich niemand, der sich Zeit genommen hat, um mit den Kids zu spielen. Aber bei Monopoly konnte man auch ihn dann zwei Stunden fesseln. 

Und konntest du gut verlieren beim Spiel Monopoly?

Ja, aber ich kann ganz schlecht gewinnen. Denn wenn ich gewinne, dann richtig! Bämm, ich habe es Euch gezeigt (lacht)! Es ist also besser, wenn ich verliere. Denn wenn ich gewinne, sagen einige, das ist gesellschaftlich jetzt wirklich unangebracht. Von daher: Ich kann sehr gut verlieren. 

 

 

Antonia Bartning und Caroline Frumert © Kristoff Schwetje
Anfang 2019 habt ihr beiden systainchange gegründet. Du und deine Kollegin Antonia Bartning. War das Brettspiel „Pitch Your Green Idea!“der Start? 

Das Spiel ist Antonias Masterarbeit und wurde mit dem Deutschen Planspielpreis ausgezeichnet. Meine Schwerpunkte, Organisationsentwicklung und Commons ergänzen den Spielansatz „Nachhaltigkeit und Entrepreneurship“, da wir beide einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz verfolgen. Seit 2020 ergänzt Jens unser Team mit seinen Kompetenzen für Grafikdesign, IT und digitales Prozessmanagement. Die grafische Gestaltung tragen Jens und Antonia zusammen mit viel Liebe zum Detail.

Wie habt ihr euch gefunden?

Antonia und ich standen mit zwei großen Bäuchen vor dem Studentensekretariat. Und das an der Hochschule für Nachhaltigkeit und Energie in Eberswalde, die sehr klein ist. Wir konnten uns nicht übersehen. Und dann ist eine Schwangerschaft auch schon sehr ungewöhnlich, wenn man einen Master macht. Wir haben uns wirklich gefunden! Ich habe Tourismus studiert an der HNE Eberswalde. Dort gab es die Debatten um Flüge. Die Frage, wie man im Tourismus korrekt vorgeht. Ich war damals so enttäuscht, dass es so viele Kommiliton:innen gab, die es in Ordnung fanden, einfach mal schnell zum Shoppen z. B. nach Mailand zu fliegen. 

Als ich Antonia kennengelernt habe, habe ich gemerkt, dass sie mit großer Konsequenz das Thema nachhaltige Entwicklung betrachtet. Ganz anders als ich. Sie beschäftigt sich mit DIY (Do it yourself). Von selbst gemachter Gemüsebrühe hin zum Zelebrieren von der Verarbeitung von Obst und Gemüse. Es geht bei ihr um sehr viel Liebe zum Detail. Das hat mir sehr begeistert und wir wollten mit einem gemeinsamen Youtube-Kanal starten, wo wir Nachhaltigkeit unterhaltsam mit Spaß erläutern. Das haben wir aber sehr schnell verworfen. Dann hat Antonia ihre Masterarbeit zu „Pitch Your Green Idea“ geschrieben. Mir war von Anfang an klar, dass sie das Planspiel nicht einfach danach in der Schublade liegen lassen darf. 

Ich war schon bereits ein halbes Jahr vorher fertig mit meiner Masterarbeit. Da ging eines Tages mein Telefon. Antonia rief mich an und sagte: „Jetzt ist es so weit! Ich gründe. Aber nur, wenn Du dabei bist!“ 

Von da an ging es Knall auf Fall. Wir hatten beide zwei kleine Kinder. 2018 habe ich mein zweites Kind bekommen. Wir hatten viel „Vorgründungszeit“. Dann wurde Antonia wieder schwanger. Seitdem passieren sehr viele Dinge gleichzeitig. 

Die wissenschaftliche Arbeit von Antonia wurde dann auch noch mit dem Planspielpreis vom deutschen Planspielverband ausgezeichnet. In der Masterarbeit hatte Antonia einen Prototyp entwickelt, der auch bereits bespielt wurde.

© Kristoff Schwetje
© Kristoff Schwetje
Wie seid ihr gestartet?

Ganz konkret: Wir wollten das Brettspiel veröffentlichen. Dafür brauchten wir aber viel Geld. Wir wollten in Deutschland produzieren. Wir wollten das Spiel möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Antonia startete mit einigen Workshops noch vor der Gründung und wir haben uns richtig gut vernetzt. Unseren Arbeitsschwerpunkt Wirtschaft haben wir nie aus den Augen verloren. 2020 haben wir uns dann entschlossen, das Spiel als Kartenspiel zu veröffentlichen. Ein Kartenspiel kann man schneller finanzieren. Wir haben alle Menschen, die wir kennen, gefragt, ob sie das Spiel vorbestellen. So konnten wir kostendeckend arbeiten. Innerhalb einer Woche haben 100 Menschen das Kartenspiel vorbestellt. Wir waren ganz überwältigt. Die Druckerei konnte loslegen. Vor Weihnachten 2020 haben wir dann das Spiel druckfrisch verschicken können. 

Deine Arbeitsschwerpunkte sind Organisationsentwicklung und Commons. Diese ergänzen den Spielansatz „Nachhaltigkeit und Entrepreneurship“, da ihr beiden einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz verfolgt. Was verbirgt sich hinter deinem Schwerpunkt?

Meine Masterarbeit beschäftigte sich mit der Organisationsentwicklung und Organisationstheorie. Hierbei habe ich mich auf Commons spezialisiert. Commons sind Gemeingüter. Güter, die allen gehören. Das könnte ein Gemeinschaftsgarten sein oder übergeordnet unsere Atmosphäre, unsere Sprache oder der HTML-Code. Bei den Commons macht man sich gemeinsam Gedanken über die gemeinsame Nutzung. Hier wendet man gemeinsame Regelwerke an. So gibt es Gemeingüter, die nicht gestaltet werden oder nicht in dem Maße, wie es für einige aber gesund wäre. Wie z. B. die Atmosphäre. Bei den Gemeinschaftsgärten stellt man sich gemeinsam die Frage, wie man gemeinsam diese Ressource nutzen möchte. Diesen Aushandlungsprozess nennt man „Commoning“. Diesen Prozess finde ich sehr spannend. Einmal unter dem soziologischen Aspekt. Aber auch aus meiner Perspektive gesehen: die Betriebswirtschaft als Mittel zum Zweck zu sehen. Es ist ein kompletter Gegenentwurf. Wie funktioniert Organisation? Wie funktioniert Organisation, wie wir sie in der Betriebswirtschaftslehre „normalerweise“ beschreiben? Hier gibt es die Diskrepanz, wenn du einerseits von Betrieben sprichst. Im produzierenden Bereich. Vielleicht auch im Dienstleistungssektor. Und dann hast du noch die anderen Organisationen wie NGO und Vereine. Alle müssen mit ihren Mittel haushalten. Warum trennen wir diese so streng? Warum ist in Betrieben oftmals etwas, was von demokratischen Prozessen stark abweicht? Z. B. starre Hierarchien, die nicht mehr zeitgemäß sind. Auch die Eigentumsfrage von Firmen ist zukünftig zu überdenken. Du arbeitest 30 Jahre in einem Betrieb und dann wirst du gekündigt. Dann bist du nicht mehr Teil dieser Organisation. Für mich ist Unternehmertum und Entrepreneurship nicht gleichzusetzen. Unternehmertum hat den klassischen unternehmerischen Ansatz. Und ein Entrepreneur könnte auch jemand sein, der ein Nachbarschaftsprojekt initiiert, das im Kern eher einen sinnstiftenden Zweck verfolgt. Und nicht unbedingt wirtschaftlich einen Mehrwert schaffen möchte. Es kann auch ein gesellschaftlicher sinnvoller Mehrwert sein. 

„Pitch Your Green Idea“ greift diese Thematik auf. Es gibt so viele Menschen, die sehr viele gute Ideen haben. Die machen soziale Projekte. Die machen Umweltprojekte. Aber eigentlich wissen Sie nicht, wie Projektmanagement funktioniert. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die Betriebswirtschaft studiert haben. Aber diese Menschen haben keine Idee von nachhaltiger Entwicklung. Hier geht es nicht darum, eine Zahnbürste aus Bambus zu produzieren, die vorher aus Plastik bestand. Welche Strukturen bilden wir und wie können wir zu nachhaltiger Entwicklung beitragen? In der Organisationsentwicklung fragst du dich, welche Instrumente du einsetzen möchtest. Und wer sind wir eigentlich als Institution? Und wie möchten wir miteinander agieren? Und das passte hervorragend zu „Pitch Your Green Idea“. 

Warum müssen Menschen nachhaltige Unternehmensführung studieren? Sie können doch einfach ein Spiel spielen. Der Ansatz war ein anderer. Der Ausgang ist der gleiche. Zugänge schaffen, Dinge übersetzen, sodass sie viele Menschen verstehen können. 

Hast du ein Beispiel?

Ein Beispiel ist für mich der Begriff „Unternehmung“. Oder: Es schließen sich zwei Menschen zusammen und „tun“ gemeinsam Dinge. Es steht nicht unbedingt hinten dran, dass man damit Geld verdienen möchte. So brechen wir häufig Vorurteile auf. 

Ist „Pitch Your Green Idea“ ein kooperatives Spiel? Oder wie drückt sich der Commons-Gedanke hier aus?

Sehr wichtige Frage. Wir entwickeln das Spiel permanent weiter. Im Moment ist es ein teilkooperatives Spiel. Das bedeutet, du hast immer die Möglichkeit, teilkooperativ zu spielen. Aber man kann den Erfolg an Punkten messen. Ein sehr klassischer Ansatz. Es trägt dabei den Konkurrenzgedanken mit sich. Es liegt aber letztendlich bei den Spieler:innen. Wichtig ist, welche Ideen entwickelt wurden. Wie können wir diese Gedanken durch Feedback reifen lassen? Das Spiel funktioniert so, dass du zu Anfang ein ökosoziales Problem bekommst. Zum Beispiel Plastikmüll, Waldsterben, Mangel an Wohnraum bzw. bezahlbarem Wohnraum. Barrieren z. B. für Menschen mit Behinderung oder alte Menschen. 

Wird die Problemstellung demokratisch ausgewählt?

Nein, tatsächlich werden Karten gezogen. Und jedes Team zieht sich eine Eigenschaft. Das kann sein: einbeinig, hölzern, zäh… Es gibt ganz viele Begrifflichkeiten, die erst mal abstrakt wirken und auch verwirren. Es geht darum, das die Köpfe nicht die ganze Zeit um ein Problem kreiseln. So kommt man ein bisschen weg von der eigentlichen Problemstellung. Man beginnt zu assoziieren. Und dadurch hast du einen kreativen Gedankenraum geöffnet, der sich nicht immer um das Problem dreht. Diese Abspaltung nennt man Dissoziation. Jedes Team hat dafür fünf Minuten Zeit und danach stellt man die Ideen vor. 

Im Anfang hat man sehr diffuse Ideen. Es ist wichtig, dass man erst einmal ins Machen kommt. Das ist das zentrale Thema des Spiels. Es gibt ein klares Zeitbudget. Und während des Spiels bekommt man immer wieder solche Aufgaben. Es können klassische Fragestellungen sein: Was ist deine Zielgruppe? Welche Ressourcen bräuchtest du, um deine Idee umzusetzen? Mit welchem Team möchte ich die Idee umsetzen? Wie treffen wir Entscheidungen? Welche Regeln möchten wir uns geben? Im Laufe des Spiels entwickelst du die Idee weiter und schleifst sie. Es wird schnell deutlich zu welcher Zielgruppe die Ideen passen. In dieser Gemeinde könnte man es umsetzen und dabei dieses Marketing verfolgen. 

Wie funktioniert das?

Das passiert mit kurzen und knappen Aufgabenstellungen. Menschen mit anderem Hintergrund können einfach in die Themen einsteigen. Wie startest du ein Projekt? Wie zeichnest du dazu eine Projektskizze? Wenn man sich nicht gerade in der Ideenphase befindet, hat man dafür ein kleines Blumentöpfchen. Damit sammelt man Wissen, das wachsen kann. Man beantwortet Quizfragen. Es sind unterschiedliche Fragen. Alle im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und Unternehmensführung. Hier ein paar Beispiele: Was ist der Unterschied zwischen Klima und Wetter? Was versteht man z. B. unter dem Begriff „Downsizing“? Oder das im Grundgesetz verankert ist, dass die Lebensgrundlagen von zukünftigen Generationen geschützt werden müssen. Was bedeutet es? So haben wir ein breites Spektrum zusammengetragen. Zum Beispiel Fragen zu relativer Armut. Wer erhält in Deutschland keinen gesetzlichen Mindestlohn? Z. B. Menschen mit Behinderung. 

So können wir viele Denkanstöße geben und reden nicht primär über Nachhaltigkeit. Die Themen stellen sich automatisch, da das Spiel immer wieder neue Impulse gibt. Die Teilnehmenden kommen dann darüber ins Gespräch. Wenn man die Wissensfragen dann noch richtig beantwortet, bekommt man Wissen in sein Töpfchen. Und das kann man einsetzen, wenn man auf ein Entscheidungsfeld kommt. Jedes Team hat eine Unternehmensübersicht. Es gibt eine Skala mit den Begriffen Wirtschaft, Umwelt und Soziales. Diese Bereiche versucht man im Spiel positiv zu steuern. Das geschieht durch Entscheidungsfragen. Es gibt aber auch Fallstricke. So kann eine Investition im Bereich Soziales auch Kosten verursachen. Die Punkte können sich somit auch gegenläufig zu den Skalen bewegen. Das Ziel ist es, die Skalen im Spiel immer wieder auszugleichen.

Dann gibt es noch eine Zeitskala. Da haben wir den klassischen acht Stundentag dargestellt. Du nimmst dir mehr vor, als machbar ist? Im Spiel kannst du auch im Burn-out landen, wenn du nicht gut mit deiner Zeit umgehst. 

Dies sind die wichtigsten Dinge, die man im Auge behalten sollte. Es gibt auch noch zwei Sonderfelder. Einmal ein Ereignisfeld. Hier weiß man nicht, was passiert. Es kann negative oder auch positive Auswirkungen auf deine Idee bzw. deine Unternehmung haben. Es kann sein, dass es eine Hitzewelle gibt. Und wenn du dir eine Idee im Bereich Landwirtschaft überlegt hast, wirkt sich das unter Umständen negativ aus. Es könnte aber auch sein, dass du einen Nachhaltigkeitspreis erhältst und du damit deine öffentliche Präsenz stärkst. 

Dann gibt es noch das Feld Weiterbildung. Wir haben hier ganz viele Wissenssnacks. Hier ein paar Beispiele: Was sind eigentlich Commons? Was ist der Cradle-to-Cradle-Ansatz? Was versteht man unter der Gemeinwohlökonomie? Was ist Eco-Mapping? Wie funktionieren nachhaltige Finanzen? So hat man anschließend einen Wissensvorteil, da man anschließend Quiz-Fragen besser beantworten kann. Durch neues Wissen wird man außerdem handlungsfähig. 

Wann kommt es dann zum Pitch?

Den zentralen Pitch möchte ich hier abschließend erwähnen. Nach jeder Aufgabe pitcht jedes Team seine Idee, seinen aktuellen Umsetzungsschritt und man kann einen Pitch-Punkt verleihen. Man tauscht sich aus, gibt Feedback. Was fehlt noch? Ist das ein realistischer Ansatz oder wünsche ich mir doch mehr Bodenständigkeit? Der zentrale Spielmoment ist der Austausch. Wichtig ist auch die Schwarmintelligenz: Gerade wenn man interdisziplinär spielt, haben natürlich Naturwissenschaftler andere Ansätze als Kulturwissenschaftler, Informatiker oder Menschen aus dem medizinischen Bereich.

Wie gehen die Teilnehmer:innen mit den Bewertungen und Fragestellungen um? Was unterscheidet die Herangehensweisen? 

Eine Erfahrung an einer dualen technischen Hochschule fällt mir dazu spontan ein (das war dann nicht interdisziplinär): Aber das war für mich so sinnbildlich, weil erst einmal nur technische Lösungen entwickelt wurden und man sehr davon überzeugt war, dass Problem in den Griff zu bekommen. Fachlich war das Team sehr gut aufgestellt. Aber dann kam es: Wie arbeitet man als Team? Wie arbeitet man zusammen? Wie definiert man Wertschätzung? Diese ganzen „Soft Skills“ zeigen, dass es sehr selten am Know-how, sondern an einem Miteinander fehlt. Wie schaffen wir es, als Team wertschätzend zusammenzuarbeiten? 

Welche Sprache möchtet ihr sprechen? Ihr habt sehr viele Fachbegriffe… Was macht es mit Leuten, die neu sind? Welche Barrieren gibt es bei eurem Vorhaben? Oder wie trefft ihr eure Entscheidungen? Es war so sinnbildlich, dass diese Fragen erst gar nicht verstanden wurden. Es wurde gar nicht gesehen, dass diese Fragen ein Problem sind. Und ein Projekt kann auch dadurch scheitern, dass das Teamgefüge gar kein Teamgefüge ist. Und wir die Probleme, die es im Team oder der Gruppe gibt, erst gar nicht besprechen oder erkennen. Den Wert überhaupt erkennen zu können – hier haben wir ein Defizit – ist schwer beizubringen. Eben nicht: Lerne doch mal die Formel! 

 Das ist der Kern der Zusammenarbeit von Antonia und mir: Wir müssen nachhaltige Entwicklung als den Zusammenschluss vieler Menschen mit vielen unterschiedlichen Hintergründen, Wissen und Kompetenzen begreifen. Diese Menschen können sich dann aber begegnen und Hürden überwinden. Der erste Schritt: erst einmal erkennen, dass sie existieren. 

Das ist das spannende. Das siehst du dann daran, dass die Aufgabe, bei der du dich sicher fühlst, zeitlich überzogen wird. Es ist immer sehr schwierig, einen Gedankenraum zu öffnen, den man noch nicht betreten hat. Dann bricht man es lieber ab, als es ganzheitlich zu durchdenken. 

Das ist ein Punkt, der mir immer wieder auffällt. Wir sind auch mit der Stiftung Deutsche Wirtschaft in komplett interdisziplinären Teams unterwegs. Von Mediziner:in bis Landwirt:in, oder die Informatikerin etc. es sind alle vertreten. Hier merkt man: Wer hat Bildung wie mitbekommen? Wo gibt es Netzwerke, wo man so etwas lernen kann? Wirst du im Rahmen einer Kooperation gefördert und wie funktioniert gute Zusammenarbeit? 

Wer spielt mit Euch? 

In den Kommunen kommen die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister dazu, Menschen, die sich für die Kommune zum Thema nachhaltige Entwicklung Gedanken machen möchten oder Menschen aus der Bürgerschaft. Jugendliche sind in Kommunen selten dabei. Es geht los ab Mitte Zwanzig. Und dann aber bis ins hohe Alter. Ich war vor kurzem in der Gemeinde Uchte. Da war ein Mann Ende siebzig dabei. Er wusste alles. Das hat mich richtig glücklich gemacht. Er hatte einen enormen Weitblick und konnte den anderen organisatorisch so viel erklären. Die jungen Menschen sind immer top im Projektmanagement. Die Kommunen werden immer von den verschiedenen Lebensstadien getragen. Alles kann nicht der Verwaltung überlassen werden. Auch wenn das gerne gemacht wird. Wie z. B. das Thema Mobilität. Ein Learning ist es, sich realistische Ziele zu setzen. Einzelne Maßnahmen anzugehen und umzusetzen. Dann gibt es auch ein Erfolgsgefühl. Hey, das haben wir gemeinsam geschafft. In den Kommunen kommt sehr viel Bürokratie auf einen zu. Das wissen wir alle: Die Diskussionen über die Standorte von Windrädern zum Beispiel kann die Gemüter erhitzen. Viele fallen durch den Bürokratiedschungel in Resignation. Wo können wir motivieren? Was können wir zusammen umsetzen? Ohne zwei Jahre Anträge zu stellen. 

Was macht das gemeinsame Spiel mit den Menschen? 

Wir kennen uns schon und wir wissen, was wir wollen. Damit starten wir oft. Wenn Du dann tiefer gräbst, dann wird es dünner. Wir beginnen immer mit einer offenen Assoziationsrunde. Dann gibt es Bildkarten zu den Entwicklungszielen, den SDGs. Ich frage erst mal offen. Nachhaltigkeit in deiner Kommune, was assoziierst du damit? Das ist sehr spannend. Die Menschen in den kommunalen Prozessen sitzen viel an Tischen, schreiben ein Protokoll und gehen informell daran. Das machen wir anders! Das ist wichtig und ein wirkliches Warm-up. Dann erzählen die Menschen aus Ihrer Perspektive, was sie mit nachhaltiger Entwicklung verknüpfen. Die einen sind sorgegetrieben. Also ich sehe die Verschmutzung von … Da müssen wir doch was ändern. Die anderen sind schnell begeistert. Schau mal auf der Karte ist eine Blühwiese und wir können wieder mehr Artenvielfalt in unsere Kommune holen. Spannend ist, ob man über ein positives Zukunftsbild hat oder ob das Artensterben so stark beschäftigt, dass es mich nicht mehr loslässt. 

Geht es auch um Werte?

Wir fragen z. B.: Nennt uns bitte drei Werte, die ihr als Gruppe teilt. Dann wird plötzlich deutlich, dass man doch zehn Minuten drüber diskutieren sollte. Ob das eher Sicherheit, Beständigkeit und Optimismus sind. Das wird sehr deutlich in der persönlichen Definition von Nachhaltigkeit. Und wenn du dann einzelne SDGs rausgreifst, wie z. B. Geschlechtergerechtigkeit. Da wird es schwieriger, die Zusammenhänge zwischen allen Bereichen zu verstehen. Im Spiel wird deutlich: Alle möchten, dass es in der Gemeinde vorangeht. Sie können sehr schnell sagen, was sie alles stört. Aber: Was ist der Unterscheid zwischen einem Spiel und einer Maßnahme? Wie schreibt man eine Roadmap? 

Oft wird im Spiel erkannt, dass wir kleinschrittig vorankommen müssen. Jeder Teilerfolg bringt uns Schwung, das Große anzugehen.

In unserem Planspiel spielst du keine Rolle. Du spielst dich selbst. Du findest mit deinen Meinungen und Erfahrungen darin statt. Das macht für viele den Zauber aus. Sie erkennen, dass man ein strukturiertes Vorgehen braucht. Am Ende dieses Lernspiel machen wir ein sogenanntes Debriefing, das heißt, es gibt eine Reflextion und ein Transfer ins Alltagssetting. Ein Teil des Debriefings ist die Emotion. Wie geht es dir jetzt nach dieser Spielerfahrung? 

Ältere Männer antworten meistens nur: ja, mir geht es gut. Es fällt ihnen so schwer, dass, was das Spiel mit ihnen gemacht hat, in Worte zu fassen. Wir versuchen dann Übersetzungsarbeit zu leisten. Ältere Menschen können die Traurigkeit nicht ausdrücken, wenn man spürt, das nachhaltige Entwicklung gerade nicht stattfindet. Es darf nicht ausgesprochen werden, da dann andere Menschen demotiviert sind. Auch die unterschiedlichen Parteien machen es schwierig. Es gibt unterschiedliche Ausrichtungen. 

Im Kern sind wir alle fühlende Menschen, die merken, dass wir weiterkommen müssen. In einer kurzen Spielrunde schafft man es gemeinsam zu sagen, was zu tun ist. Und nicht „die Gemeinde“ oder „die Verwaltung“. Die Spieler:innen schaffen es, Hürden und Vorurteile zu überwinden. Mit dieser Erkenntnis können wir gerade diese kritischen Fragen offen und wertschätzend diskutieren. Dieser moderative Prozess wird mir durch das Spiel abgenommen. Alle sitzen gemeinsam am Tische. Einer hat die Lesefunktion. Der andere gibt den Würfel weiter. So einfach entstehen die Dynamiken. 

Wir haben in den letzten dreißig Jahren viel falsch gemacht. Auf der Metaebene stelle ich gerade beispielsweise fest, dass bei den Debatten gesagt wird Fridays for Future ist doch viel besser als die Letzte Generation. Die Frage ist, ob wir strukturelle Veränderungen anschieben konnten. Ja oder nein? Haben wir unser Konsumverhalten hinterfragt? Wir müssen diese Trial and Error-Wege gehen. Das hat nicht funktioniert! Aber es heißt dann nicht, dass wir einfach so weiter machen können wie bislang. Das ist die wichtige Aufgabe des Spiels. Man darf es nicht als Initialtool sehen am Anfang des Projektmanagements. Wichtig ist Antonia und mir die Rückschau. Wir haben z. B. vor einem halben Jahr gespielt. Das waren unsere Ergebnisse. Was können wir jetzt, wenn wir uns das alles anschauen, jetzt fragen? Was hat sich doch in der Zwischenzeit als anders erwiesen? Wo müssen wir nachjustieren? Das sind Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene, die ich mir viel mehr wünsche. Dass man die Anerkennung hat mit den besten Intentionen und besten Strukturen, die man geschaffen hat, den und den Weg gewählt hat. Aber es heißt noch lange nicht, dass dieser Weg zum Erfolg führt. Da müssen wir noch einmal intensiv ran. Das Projektmanagement muss dynamisch bleiben.

Wir brauchen viel mehr Ehrlichkeit. Der Prozess ist bis zu einem Punkt gut gelaufen, doch jetzt muss er in eine andere Richtung gehen.

Ich denke oft darüber nach, ob ich Menschen etwas von nachhaltiger Entwicklung erzähle, ist marginal. Ich denke, ich darf Menschen generell Raum geben. Mit ihnen auf Augenhöhe sprechen. Sie als Menschen wahrzunehmen. Bzw. anzunehmen. Wer bist du? Welche Geschichte bringst du mit? Und Raum zugeben. Das ist der Hauptkern meiner Arbeit. Es gibt keine Vorbehalte. Und trotzdem hast du diesen Raum geschaffen, damit wir als Menschen miteinander ins Gespräch kommen. 

Wie gehen die Menschen aus dem Spiel? Haben sie sich ein gemeinsames Ziel gesetzt? Oder ist das unterschiedlich? Werdet ihr die Spielteilnehmenden nach einem Zeitraum wiedersehen? 

Bisher ist es nicht geplant, dass wir sie wiedersehen. Sehr schade, denn ich würde auch gerne wissen, was in ein paar Jahren passiert ist. Sie sind alle an verschiedenen Punkten. Einige haben schon Maßnahmen. Die anderen haben sich gerade erst zusammengefunden. 

Dann haben wir immer Schwerpunktthemen. Z. B. Mobilität, demografischer Wandel, Gender und soziale Teilhabe. Dann setzt man sich konkrete Ziele oder wenn es schon Zielvereinbarungen gibt: Welche Maßnahmen möchten wir ableiten?

In Kommunen ist es ein Novum: Du kannst Punkte an jedes einzelne Team gehen. Jedes Team bewertet ein anderes Team zwischen null und vier. So können wir abstimmen, welches Projekt in dieser Runde die meisten Zustimmungswerte erhalten. Wichtig dabei ist. Demokratie ist nicht nur ein Mehrheitsentscheid. So können wir durch Fokussieren erfahren, welches Projekt von der Gruppe am besten getragen wird. Eine Wertediskussion ist auch sehr wichtig. Zusammen mit RENN.nord wurde dann das Kommunenkartenspiel entwickelt.

Was macht systainchange noch?

Wir sind Facilitator. Wir geben Räume für Workshops und Seminare in Unternehmen aber auch an Universitäten oder in Kommunen. Wir beraten aber auch Unternehmen. Wenn sich ein Unternehmen im Rahmen nachhaltiger Entwicklung neu aufstellen möchte. Oder das Unternehmen möchte seine Mitarbeiter:innen mitnehmen in Richtung nachhaltige Entwicklung auf einer spielerischen Ebene. Wir sind auch ein Verlag für Spielentwicklung. Wir gestalten eigene Spiele als Serious Game. Also Spiele, die auch einen Lernprozess haben. Es geht entweder um nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Kommunen aber auch um politische Teilhabe. Z. B. in dem Spiel „Jede Stimme zählt“. Dort entwickelt man eine Wahlkampagne. Und darüber hinaus haben wir ein europäisches Netzwerk von nachhaltigen Spieleverlagen gegründet. Die Gamechanger. Hier geht es auch um das kooperative Wirtschaften. Spiele sind meistens nicht nachhaltig. Gerade bei der Materialverwendung ist es schwierig. Aber auch die Lieferkette und auch von der Gestaltung haben hohes Potenzial. Leider werden oft Stereotype dargestellt. Das ist auch eine Aufgabe. Wie kann man sich als Verlag nachhaltiger aufstellen?

Was möchtet ihr in fünf Jahren erreicht haben?

Wir haben einen richtig großen Fördertopf und skalieren BNE (Bildung für Nachhaltige Entwicklung). Die Schule und Universitäten kommen überhaupt nicht hinterher, BNE in die Curricula zu verankern. Wir möchten Menschen zusammenbringen und in min. zwei Wochen schulen, wie sie einerseits ein Verständnis von nachhaltiger Entwicklung aber struktureller Natur haben. Klimawandel ist kein naturwissenschaftliches Phänomen. Sondern die sozialen Strukturen, die wir bei Wirtschaftsabläufen geschaffen haben. Und wie können wir über ein Spiel Wissen zugänglich machen? Das Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln und sie begleiten ihre eigenen Projektideen, die sie wirklich voranbringen. Wir müssen BNE skalieren. Es soll weiter gehen als zu erklären, was die SDGs sind. Wir möchten das ganzheitliche Verständnis in die Breite tragen. Das größte Ziel, BNE am besten international gedacht. Wir durften das Spiel dieses Jahr nach Ruanda bringen. An der University of Ruanda haben wir unser Spiel gespielt. Wir müssen BNE in Deutschland puschen, aber auch international. Deshalb müssen wir unser Spiel in vielen Sprachen zugänglich machen. Letzte Woche konnten wir ein Spiel nach Indien geben. Das ist schon ein gutes Gefühl. Der Anspruch ist aber auch, dass man Nachhaltigkeit immer kultursensibel vermittelt. Es ist nicht 1:1 übertragbar. Wir haben hier eine europäische Brille. Und andere Grundvoraussetzungen, wie wir nachhaltige Entwicklung umsetzen können. Dafür brauchen wir als Kleinstunternehmen starke Verbündete. Wir können nachhaltige Entwicklung als Gesellschaft nur „wuppen“, wenn wir Wissensaufbau leisten. Dann im zweiten Schritt Kompetenzaufbau. Und davon sind wir noch meilenweit entfernt. Und Themen wie Fachkräftemangel einmal ganz außen vorgelassen. 

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wir merken aber auch immer stärker, dass es Menschen interessiert. Wir brauchen sehr viele Menschen, die BNE fundiert vermitteln können. Und daran scheitert es leider oft. 

Das Schöne an der Arbeit unseres dreiköpfigen Teams: Wir kuratieren Wissen. Das ist mir erst bewusst geworden, als das Spiel im Druck war. Alles war wir machen hat eine Wertigkeit. Und die Wertigkeit sollte ein gutes Miteinander sein. Und ein Hinterfragen von bestehenden Strukturen.

© Kristoff Schwetje
Das letzte Wort:

Hat meistens jemand anderes ...

Susanne Klaar, RENN.nord Öffentlichkeitsarbeit, führte das Interview im Oktober 2023, kurz nach dem kommunalen Spieleabend in der Samtgemeinde Uchte: Pitch Your Green Idea: Spielerisch kommunale Nachhaltigkeit entdecken.

Durch unser Gespräch gehen bei mir gerade einige Fenster auf.

Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Caro!

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